Sex ist ganz oben auf der Prioritätenliste -  wenn er ein Problem ist. Aber rein praktisch ist er ganz unten, noch nach dem Spielfilm um 20:15 Uhr, nach Netflix gucken, Sport oder was den Menschen sonst noch in den Kopf kommt.

 

Das sagt Anja Drews, Sexualtherapeutin aus Hamburg. Wir hatten ein Zoom-Date mit ihr und sprachen über Lustlosigkeit, Spiegeleier und Penetrationssperre.

 

Anja-drews-sexualtherapeutin.jpegFrau Drews, viele sagen, Sex ist etwas, das man entweder kann oder halt nicht. Ist das so?

Gute Frage! Es kommt ja immer wieder vor, dass Menschen privat oder in der Praxis zu mir sagen “Was soll man denn da lernen? Sex kann man doch einfach so!” Ganz so einfach ist das aber nicht, sonst kämen nicht so viele Menschen zu mir. Sex ist wirklich etwas, das man lernt, so wie Kochen. Da ist es ja auch so, dass man sagen kann “Ich kann kochen”. Ja, du kannst vielleicht Spiegeleier und so machen, aber wenn man wirklich richtig gut kochen will, verschiedene Cuisines ausprobieren, verschiedene Utensilien nutzen will, dann muss man sich dafür interessieren, ausprobieren und auch das Genießen richtig lernen. Sex kann man auch einfach so machen, aber man kann noch so viel lernen. Warum sollte man das nicht tun?

Vorspiel, Penetration, Nachspiel (wenn es überhaupt dazu kommt) - so wird Sex noch oft gesehen. In die Richtung gehen auch unsere ersten Erfahrungen, das kenne ich auch selbst von mir von früher. Ich arbeite gern mit Bildern, um das zu veranschaulichen. Eines meiner Lieblingsbeispiele dafür ist das Foo Fighters Konzert 2018 hier in Hamburg - eine riesen Vorbereitung, 70.000 Menschen, Straßen wurden gesperrt, es war irre. Und dann spielt eine Vorgruppe, die eigentlich nur dazu da ist, das Publikum schon einmal anzuheizen. Erst dann kommt der Hauptakt, bei dem die Organisatoren sicher mega Stress haben mit der ganzen Technik und allem Drum und Dran. Man stelle sich nur einmal vor, ein Kabel ist falsch angeschlossen, Dave Grohl verliert seine Stimme oder es gibt ein Unwetter. Viele Fans stehen da heute mit dem Smartphone vor der Nase und filmen lieber anstatt direkt auf die Bühne zu schauen und wirklich dabei zu sein. Und nach eineinhalb, zwei Stunden ist alles vorbei. 

 

Das hört sich nicht schlecht an, aber es scheint, als sei die Story noch nicht zu Ende. 

Eben, das ist nicht schlecht, aber stell dir mal vor, du gehst zu einem Festival und du kannst dort von Bühne zu Bühne gehen. Wenn eine Band nicht so gut ist, dann gehst du zu einer anderen Band und vielleicht siehst du auch eine Band, von der du dachtest, dass sie nicht so toll sei, und plötzlich findest du sie richtig gut. Und das Festival dauert 3 Tage und ist ein unglaubliches Erlebnis. 

Jetzt stell dir mal vor: So ist Sex! Vielfalt, Neues kennenlernen und schauen, welche “Bühnen” man öfter besuchen möchte, statt nur die gleiche Band zu sehen. Und vor allem nicht dieser Druck, der auf dem Hauptakt, der Penetration, lastet, wo man “funktionieren” möchte anstatt einfach nur zu genießen. Ich nutze dieses Beispiel viel mit Frauen in meiner Praxis. Jede Frau ist so unterschiedlich und muss schauen, was für sie funktioniert und daher helfen da auch keine Zeitschriften-Tipps á la “Zieh dir mal dies und jenes an”  - da kommt man sich eher verkleidet und doof vor und knüpft nicht dort an, was einem wirklich gefällt. 

Außer natürlich man steht unglaublich auf Verkleiden. Dann ist das natürlich super!

 

Und wie ist das bei Männern?

Viele Männer sind oft sehr stark auf ihren Penis zentriert, reduzieren sich auf ihn und sind deshalb in ihrer Lust oft eingeschränkt, weil sie glauben, dass er das Wichtigste ist. Wenn sie ihr bestes Stück aber mal komplett außer Acht lassen, dann tut sich oft ein komplett neues Universum auf. Sie können noch so viel mehr entdecken in ihrer Lust, wenn sie es sich erlauben von dem typischen Vorspiel, Hauptspiel, Nachspiel wegzugehen, weg von “oh das ist nicht männlich/ zu sinnlich” und stattdessen hin zu Freiheit und Exploration. Viele Praktiken, wie zum Beispiel für 30 Minuten sinnlich gestreichelt zu werden, können für Männer ein echter Genuss sein, wenn sie lernen, das zuzulassen. Eine Erektion muss nicht immer irgendwo “rein” - das ist nicht, was guten Sex und vor allem Intimität ausmacht.

 

Wo wir gerade vom Penis sprechen.. Was ist der Hauptgrund, warum Männer zu Ihnen kommen?

Thema Nummer 1 bei Männern ist der frühzeitige Samenerguss, gefolgt von Erektionsproblemen auf Platz 2, beides häufig gepaart mit fehlender Lust. Was nachvollziehbar ist, weil man aus lauter Angst zu versagen unter enormem Druck steht. Was das zu frühe Kommen angeht, haben viele keine Probleme bei Selbstbefriedigung, Oralverkehr oder Handjob. Nur bei der Penetration kommt es dazu, dass sie direkt vorher kommen oder sehr kurz nach dem Einführen. Gründe gibt es dafür jede Menge. Bei manchen, mit denen ich spreche, musste es zum Beispiel früher immer schnell gehen, als sie anfingen Sex zu haben, da zum Beispiel die Tür nicht abgeschlossen werden konnte. 

Dann gibt es auch die, die eine spezielle Technik zur Selbstbefriedigung haben - wobei das wirklich bei fast allen Menschen der Fall ist. Wenn man immer nur eine Hand nimmt und viel zu viel Druck ausübt und eine bestimmte Geschwindigkeit drauf hat, dann ist man sehr auf diese Art von Berührung trainiert und man konditioniert sich damit. Bei der Penetration ist man(n) häufig sehr aufgeregt und wenn da einmal was schief gelaufen ist und dann vielleicht ein zweites Mal, bauen sich Unsicherheit und Druck auf, was dann wiederum zu vorzeitiger Ejakulation führen kann.  

 

vorzeitiger-samenerguss-onlinekurs-therapeut.jpgSie haben dazu einen Kurs in der Akademie der Lust, der aktuell der Bestseller ist. Können Sie uns eine kleine Intro geben? 

Genau, den Kurs habe ich gedreht, da ich einige der Übungen und Infos, die ich in meiner Praxis nutze, denen bieten will, die den Gang zur Therapie scheuen.

Der Kurs ersetzt natürlich keine Therapie, hilft aber mittels Entspannungsübungen und Progressiver Muskelentspannung herunterzukommen und eine innere Ruhe zu schaffen, die es ermöglicht, sich auf sich selbst zu fokussieren und vom Kopf in den Körper zu kommen. In 6 Wochen lernt man, seine Erregung besser wahrzunehmen und dadurch auch besser zu steuern. Denn diese immer gleichbleibende Selbstbefriedigungstechnik, die ich erwähnt hatte, führt halt auch dazu, dass man sich in seinem Erregungsmodus limitiert. Der Kurs hilft dabei, zu trainieren, sich auf eine neue Art und Weise selbst zu stimulieren und auch zu erkennen, wann der Punkt kommt, an dem es zu viel ist. Teilweise sind nämlich auch zu viele Reize auf einmal da. 

Ziel ist selbstverständlich, länger zu können, aber Ejakulationskontrolle bringt auch noch viel mehr mit sich, wie intensivere Orgasmen. Ich kann ihn wirklich nur jedem Penisbesitzer empfehlen. 
 

Thema Paare - viele, die sich in einer längeren Beziehung befinden, beschweren sich darüber, dass sie wenig bis keinen Sex mehr haben. Was ist Ihre Erfahrung in Ihrer Praxis?

Wenn ich mit Paaren zusammenarbeite, die schon länger zusammen sind, stellt sich oft raus, dass der Sex in der Regel dann stattfindet, wenn das Tagwerk erledigt ist. Also alle Sachen sind abgearbeitet und man geht ins Bett und dann soll's krachen! Wenn der Wecker schon gestellt ist. Das geht natürlich nicht und dann kommt da so eine kleine Nummer bei raus, die nicht wirklich Spaß macht. Heißt, der erste Schritt ist Sex auf der Prioritätenliste nach oben zu setzen. Also gefühlt ist er ganz oben - aber auch nur wenn er ein Problem ist. Aber rein praktisch ist er ganz unten, noch nach dem Spielfilm um 20:15 Uhr, nach Netflix gucken, Sport oder was auch immer. Das ist natürlich eher kontraproduktiv.

 

Und wie geht man das am besten an?

Die Idee ist, ihn wieder weiter nach oben auf der Liste zu holen und spielerisch bei kleinen Sachen anzufangen. Viele, die länger zusammen sind, knutschen ja auch nicht mehr, also so richtig mit Zunge. Das ist oft das erste, was wegfällt. Daher mal wieder richtig leidenschaftlich zu knutschen ist schon der erste Schritt. 

Ich höre immer wieder “Sex muss spontan passieren, das kann man doch nicht in den Kalender schreiben”. Aber ganz im Ernst, warum denn nicht? Wenn es spontan passieren soll, nachts unter der Bettdecke - funktioniert das nicht. Am Anfang der Beziehung ist das vielleicht noch passiert, aber später nicht mehr. Auch wenn man Sex plant, heißt das ja nicht “20:00 Uhr Treffen, 20:01 Uhr Knutschen, 20:05 Uhr Brüste anfassen und dann ein bisschen fummeln und dann Penetration”. Nein, es geht eher darum, sich zu verabreden und bewusst Zeit für Intimität miteinander zu schaffen und zu schauen, was passiert. Gut ist, in solchen Momenten auch zu sagen, dass es keine Penetration gibt. Die Regeln durchbrechen und mal alles anders als sonst zu machen, hilft schon unglaublich aus der Routine rauszukommen. Aber ja, der erste Schritt ist in jedem Fall bewusst Zeit dafür zu schaffen.

 

paar_berührung_lernen_onlinekurs.jpgIhr zweiter Kurs “Paarungszeit - Erobert eure Lust zurück” handelt davon, richtig?

Ja, genau! Der Kurs ist aus meiner Arbeit mit Paaren entstanden. Wie gesagt, am Anfang der Beziehung wird noch gefummelt, geleckt und penetriert, was das Zeug hält. Nach einiger Zeit ist es aber oft so, dass man sich auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner trifft und dann einer oder beide keine Lust mehr haben und schwupps, ist man in einer Dynamik, aus der man nicht mehr rauskommt. Im Kurs helfe ich dabei, erstmal einen Gang zurückzuschalten, den Druck rauszunehmen und die Sache etwas langsamer anzugehen. 

Gestartet wird mit einem kompletten Reset und wir beginnen dann damit, verschiedene Berührungstechniken einzusetzen. “Berührung lernen” hört sich vielleicht erstmal komisch für manche an, aber ein einfaches Beispiel hier ist Massage. Wer weiß, wie man richtig massiert und den menschlichen Körper kennt, der macht es einfach tausendmal besser. So geht es auch mit absichtsloser Berührung. Dann gibt es noch Übungen, die dabei helfen, eine bessere Kommunikation und gemeinsame Sprache in Sachen Sexualität zu entwickeln. Ganz wichtig ist es für viele auch, erst einmal zu lernen - und sich vor allem erlauben zu können, - bei sich zu bleiben und nicht mit der Aufmerksamkeit nur beim Gegenüber zu sein. Denn genau das wiederum löst Druck aus. Und natürlich geht es auch um Lust und Befriedigung. Bei so vielen Paaren gibt es ein Ungleichgewicht, sowohl bei der Lust als auch bei der Befriedigung. Das Ziel ist, Sexualität wieder gemeinsam mit Leichtigkeit und Spaß zu begegnen - so wie am Anfang - nur besser. 

 

 

Interesse geweckt?

Hier findest du mehr Info zu ihren Kursen in der Akademie der Lust und ihre Website:

🍿  Kurs Nie mehr zu früh kommen

👩‍❤️‍👨  Kurs Paarungszeit - Erobert eure Lust zurück

  🤓  Website Anja Drews

 

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