Späte Entdeckung der Liebe zwischen zwei Männern

vor 21 Stunden

Späte Entdeckung

Markus sah über den Rand seiner Lesebrille hinweg und beobachtete, wie Leo im Garten die letzten Rosen schnitt. Die Abendsonne tauchte Leos ergrautes Haar in warmes Kupfer, und seine konzentrierte Miene ließ die Lachfalten um seine Augen deutlicher hervortreten. Sie waren seit fünfzehn Jahren Nachbarn, hatten die Hochzeiten ihrer Kinder miterlebt, gemeinsam den Zaun repariert und unzählige Sonntage mit Zeitung und Kaffee auf der Terrasse verbracht.

"Diese hier sind für dich", sagte Leo, als er mit einem kleinen Strauß dunkelroter Rosen auf die Terrasse trat. "Sie erinnern mich an das Rot in deinem Wohnzimmerteppich."

Markus nahm die Blumen entgegen, und ihre Finger berührten sich flüchtig. Ein ungewohntes Kribbeln durchfuhr ihn. "Danke, Leo. Sie sind wunderschön."

Es war nicht das erste Mal in letzter Zeit, dass Markus diese seltsame Wärme in Leos Nähe spürte. Anfangs hatte er es als späte Freundschaft abgetan, die Intimität zweier Männer, die den größten Teil ihres Lebens hinter sich hatten. Doch in den letzten Monaten war etwas anders geworden. Die Blicke hielten länger an, die Berührungen suchten mehr Kontakt, die Gespräche drifteten in persönlichere Gewässer.

"Bleibst du zum Abendessen?", fragte Markus impulsiv. "Ich habe mehr Linsensuppe gemacht, als ich essen kann."

Leo lächelte, und Markus bemerkte zum ersten Mal die Weichheit seiner Lippen. "Gerne. Lieselotte ist bei der Tochter in Hamburg."

Während sie aßen, sprachen sie über alles und nichts: die kaputte Straßenlaterne am Ende der Straße, Leos geplante Fahrradtour entlang der Mosel, die neu eröffnete Buchhandlung in der Innenstadt. Doch unter der Oberfläche brodelte etwas Unausgesprochenes.

"Manchmal denke ich", sagte Leo nach einer Weile, den Wein im Glas betrachtend, "dass wir in einem anderen Leben andere Entscheidungen getroffen hätten."

"Was meinst du?", fragte Markus leise.

Leo zögerte. "Nur dass... nun ja, dass das Leben seltsame Wege geht. Ich war 43 Jahre mit Lieselotte verheiratet. Ich liebe sie. Aber..."

"Ja", sagte Markus einfach. Er verstand mehr, als er zugeben wollte. Seine eigene Ehe mit Claudia war vor zehn Jahren mit ihrem viel zu frühen Tod geendet. Seitdem hatte er niemanden mehr berührt, niemanden mehr begehrt. Bis jetzt.

Die Dunkelheit hatte sich über den Garten gelegt, als sie schließlich aufstanden. Beim Abräumen standen sie plötzlich eng beieinander in der kleinen Küche. Markus spürte die Wärme von Leos Körper, rochte sein vertrautes Rasierwasser vermischt mit dem Duft von Erde und Rosen.

"Markus", flüsterte Leo, und sein Name klang anders in diesem Mund, intimer.

Sie sahen sich an, und in diesem Blick lag eine jahrzehntelange Vertrautheit, die sich plötzlich in etwas ganz Neuem verwandelte. Langsam, als fürchteten sie, die Zerbrechlichkeit des Moments zu zerstören, bewegten sich ihre Gesichter aufeinander zu.

Der erste Kuss war zögernd, unsicher – zwei Männer Mitte sechzig, die eine Sprache lernten, von der sie nie zu träumen gewagt hatten. Doch bald vertieften sich die Küsse, wurden sicherer, fordernder. Leos Hände fanden Markus' Gesicht, hielten es zärtlich, während Markus' Finger sich in Leos grauem Haar verfingen.

"Ich wusste es nicht", gestand Leo atemlos zwischen Küssen. "Ich wusste nicht, dass ich das wollte. Dass ich dich so wollte."

"Ich auch nicht", gab Markus zu. Seine Hände zitterten, als er Leos Hemdknöpfe öffnete. Die Haut darunter war weich, mit einer Behaarung, die zu Silber ergraut war, und Markus fand sie unerwartet schön.

Sie bewegten sich ins Wohnzimmer, ließen sich auf das Sofa sinken, ohne den Kontakt zu verlieren. Es war keine jugendliche Leidenschaft, die sie antrieb, sondern etwas Tieferes, Geduldigeres – eine Entdeckungsreise, bei der jeder Zentimeter neue Wunder offenbarte.

Leo beugte sich herab und küsste Markus' Hals, seine Schultern, seine Brust. Jede Berührung war eine Frage, und jede Antwort war ein Seufzer der Zustimmung. Als Markus Leos Hose öffnete und ihn zum ersten Mal berührte, war es nicht nur eine physische Handlung, sondern eine Offenbarung – die erstaunliche Entdeckung, dass ihr Vertrauen, ihre Freundschaft, diese Grundlage all der Jahre, sich in etwas verwandeln konnte, das ebenso vertraut wie aufregend neu war.

Später lagen sie zusammengekuschelt unter der Decke auf Markus' Bett, ihre Körper passend wie Puzzleteile, die endlich ihren Platz gefunden hatten.

"Ich habe Angst", gestand Leo in die Dunkelheit hinein.

"Ich auch", sagte Markus und zog ihn näher an sich. "Aber ich habe noch mehr Angst davor, dieses Gefühl zu ignorieren, nur weil wir sechs Jahrzehnte gebraucht haben, um es zu entdecken."

Leo legte seinen Kopf auf Markus' Brust. "Was machen wir jetzt?"

"Morgen", sagte Markus und küsste sein Haar, "trinken wir unseren Kaffee zusammen. Und dann sehen wir weiter."

Und in diesem Moment, mit dem vertrauten Gewicht eines anderen Mannes in seinen Armen, wusste Markus, dass sie vielleicht spät dran waren, aber keineswegs zu spät.

………Fortsetzung folgt