Ist es mehr als Cyberuntreue?

Ein Vergleich der Bedürfnisbefriedigung in realen Partnerschaften und Nebenbeziehungen im Internet

Executive Summary
Stefanie Oßwald B.A.

Ziel der durchgeführten Studie war es, die Bedürfnisbefriedigung in realen Partnerschaften und Onlinebeziehungen zu vergleichen und besonders die Abhängigkeiten voneinander im Fall des parallelen Auftretens beider Beziehungen zu erforschen.

Grundlage der Arbeit bildeten die austauschtheoretischen Ansätze, die das interaktive Sozialverhalten in Beziehungen beschreiben und erklären (z.B. Homans 1958, Thibaut & Kelley 1959). Soziale Beziehungen sind demnach geprägt von einem ständigen Austausch von immateriellen Gütern. Geht man von Liebes- oder Paarbeziehungen im Speziellen aus, so wird zum Beispiel ein Ehemann versuchen, seiner Ehefrau ihre Bedürfnisse nach Zärtlichkeit, Vertrauen und Sicherheit zu erfüllen, im Gegenzug aber auch die Befriedigung seiner Wünsche verlangen beziehungsweise erwarten. Insofern kann generell festgehalten werden, dass sich Beziehungen durch ein ständiges Geben und Nehmen auszeichnen.

Im Zentrum der austauschtheoretischen Ansätze werden die Partner zudem als subjektiv handelnde Akteure gesehen, die über eine begrenzte Anzahl an Tauschgütern verfügen und erhaltene Güter in ihrer Wichtigkeit unterschiedlich einstufen. Das bedeutet, dass Menschen in einer Liebesbeziehung ganz unterschiedliche Vorstellungen von einer Partnerschaft haben und die Erfüllung verschiedener Wünsche und Bedürfnisse suchen. Gleichzeitig sind die Partner nur in einem gewissen Maße dazu fähig, alle Bedürfnisse des Anderen durch ihr Verhalten zu befriedigen.

Entsprechendes lässt sich auf Austauschvorgänge im Internet übertragen. Lernen sich nun zwei Personen online kennen, so werden sie laut den austauschtheoretischen Ansätzen ihren Kommunikationswechsel fortsetzen und intensivieren, solange dieser für beide positive Konsequenzen hat. Diese Interaktion im Netz ist von der in einer realen Beziehung zu unterscheiden, da sie stets von den Möglichkeiten, die ein computervermittelter Austausch bieten kann, abhängig ist.

Um die Bedürfnisbefriedigung in realen Partnerschaften und Onlinebeziehungen überprüfen zu können, wurde basierend auf dem Dreiecksmodell der Liebe nach Sternberg (erstmals 1986) ein Onlinefragebogen entwickelt. Die übersetzten Originalskalen Sternbergs zur Erfassung der drei Liebeskomponenten Intimität, Leidenschaft und Entscheidung/Bindung wurden abgewandelt und auf die Bedürfnisse von Onlinebeziehungen angepasst.

Im Jahr 2010 wurden zwei Fragebogenstudien im Internet durchgeführt. In Studie 1 wurden n=177 Personen auf zwanzig verschiedenen Internetforen befragt. Studie 2 untersuchte n=341 Personen auf dem Dating-Portal Poppen.de. Durch die Platzierung eines Links zum Fragebogen konnten die Internetuser durch Selbstselektion entscheiden, ob sie an der Umfrage teilnehmen möchten. Dabei wurden gezielt Personen angesprochen, die Erfahrungen mit Onlinebeziehungen haben und sich in einer solchen befinden.

Unter den Personen der Studie 1 (Internetforen) im Alter von 15 bis 52 Jahren waren 33% Männer (n=59) und 67% Frauen (n=118). Alle 177 Befragten befanden sich in einer realen und/oder Onlinebeziehung. Zum Erhebungszeitpunkt führten 41 Personen ausschließlich eine Onlinebeziehung, 72 Personen ausschließlich eine reale Partnerschaft und 64 Personen beide Beziehungen gleichzeitig.

Der auf dem Dating-Portal Poppen.de veröffentlichte Fragebogen wurde durch n=341 Personen im Alter von 18 bis 66 vollständig beantwortet. Unter ihnen waren 65% Männer (n=223) und 35% Frauen (n=118). Von den 37% der Untersuchungsteilnehmer (n=125), die eine Onlinebeziehung führten, und den 55% (n=187), die in einer realen Partnerschaft waren, führten 61 Personen beide Beziehungen gleichzeitig. 90 Personen gaben an, weder in einer Onlinebeziehung noch in einer realen Partnerschaft zu leben.

Zusätzlich erhobene Angaben zum Dating-Portal und bisherigen Erfahrungen mit Onlinebeziehungen ergaben Folgendes: Beinahe die Hälfte der Befragten (49%) war mehr als zwei Jahre, 19% der Personen waren ein bis zwei Jahre und 32% weniger als ein Jahr Mitglied bei Poppen.de. Zudem gab knapp ein Drittel (31%) an, noch andere Dating-Plattformen zu nutzen (joyclub.de und ab18.de wurde am häufigsten genannt). 22% der Befragten hatten noch keine der Personen, die sie über Poppen.de kennengelernt hatten, real getroffen. Die Mehrheit (56%) bestätigte jedoch reale Treffen, von ein bis einschließlich zehn Personen. 250 Personen haben schon über andere Portale Onlinebeziehungen geführt, 221 Personen führten Onlinebeziehungen über Poppen.de. Die Frage nach der sexuellen Orientierung ergab, dass 242 Personen (71%) heterosexuell, 98 Personen bisexuell und eine Person homosexuell waren.

Die Ergebnisse beider Studien lassen klar herausstellen, dass die Befragten eine Onlinebeziehung grundsätzlich als weniger befriedigend einschätzten als eine reale Partnerschaft, unabhängig davon ob sie in einer realen Partnerschaft lebten oder nicht. Auffällig war, dass bei der Erhebung in den Foren (Studie 1) die Befriedigung intimer und leidenschaftlicher Bedürfnisse, dagegen bei der Erhebung auf Poppen.de (Studie 2) die Befriedigung verbindlicher Bedürfnisse in der realen Partnerschaft höher eingeschätzt wurde. Zudem waren in Studie 1 (Internetforen), die Personen, die mehr Bedürfnisbefriedigung erfahren auch zufriedener mit der jeweiligen Beziehung.

Bei der Erhebung in Studie 2 (Poppen.de) wurde deutlich, dass die zusätzliche Onlinebeziehung die reale Partnerschaft weniger negativ beeinflusste oder in einigen Fällen sogar eher positiv auf diese wirkte. Ein auffallender Aspekt in der Befragung unter den Poppen.de-Mitgliedern war es, dass Personen die ausschließlich eine reale Partnerschaft oder Onlinebeziehung hatten, sich verbundener mit ihrem Partner fühlten, als Personen in beiden Beziehungen. Vergleicht man die Einschätzungen der Gesamtzufriedenheit mit denen der Bedürfnisbefriedigung in den Partnerschaften, lässt sich auch im Fall der Erhebung auf Poppen.de ein möglicher Zusammenhang zwischen der Bedürfnisbefriedigung und der Einschätzung der Gesamtzufriedenheit vermuten. Insgesamt waren Personen, die ausschließlich eine reale Partnerschaft hatten, besonders zufrieden mit ihrer Beziehung.

Im zweiten Teil beider Untersuchungen, wurden mögliche Zusammenhänge zwischen der Bedürfnisbefriedigung in der realen Partnerschaft und der Bedürfnisbefriedigung bei einer gleichzeitig geführten Onlinebeziehung aufgezeigt. Die Ergebnisse weisen auf einen negativen Zusammenhang in der Einschätzung der Befriedigung von Intimitäts-, Leidenschafts- und Verbindlichkeitsbedürfnissen in der realen Partnerschaft und Onlinebeziehung hin. Die Werte geben einen Anhaltspunkt dafür, dass sich die Bedürfnisbefriedigungen in den Partnerschaften gegenseitig negativ beeinflussen.

Die Wichtigkeit der Befriedigung von Intimität, Leidenschaft und Verbindlichkeit in der realen Partnerschaft ist nicht abhängig von der Wichtigkeitseinschätzung der Befriedigung dieser in der gleichzeitigen Onlinebeziehung. Die Befragten in beiden Studien scheinen die Bedürfnisbefriedung in beiden Partnerschaften als gleichwertig wichtig anzusehen.

Dass die Gesamtzufriedenheit in der realen Partnerschaft mit der Gesamtzufriedenheit in der Onlinebeziehung bei den Befragten des Dating-Portals Poppen.de positiv korreliert, liegt eventuell an der unterschiedlichen Sichtweise der Probanden zur Online-Plattform: Poppen.de-Mitglieder suchen möglicherweise ganz gezielt eine Bereicherung zum Alltag in ihrer realen Partnerschaft, sind deswegen aber vermutlich nicht weniger glücklich mit dem eigentlichen Partner.

Weitere Befunde in Studie 1 (Internetforen) verdeutlichen, dass 105 Personen, die sich zum Befragungszeitraum in einer Onlinebeziehung befanden, den Chat als häufigstes Kommunikationsmittel (89 Nennungen) mit dem Onlinepartner auswählten, gefolgt von der E-Mail und dem Austausch von Fotos. Auch andere Medien wurden genutzt, wobei von 59 Angaben das SMS schreiben und Telefonieren überwiegend genannt wurde. 39 Personen (37%) haben ihren Onlinepartner auch schon real getroffen, 66 Personen (63%) nicht. Die Onlinebeziehung war mit durchschnittlich 1,03 Jahren deutlich jünger als die reale Partnerschaft mit 4,94 Jahren. 52% der Befragten meinten, es gibt bestimmte Bedürfnisse, die eine Onlinebeziehung besser erfüllen kann als eine reale Partnerschaft. Überwiegend nannten sie das „Zuhören“ und „Miteinander reden“, sowie „Vertrauen“ und „Verständnis“. Die Frage, ob es Bedürfnisse gibt, die eine reale Partnerschaft besser erfüllen kann, bejahten dagegen 89% der Untersuchungsteilnehmer. „Nähe“, „körperliche Nähe“ und schlicht „Alles“ waren die die Topantworten. Auch zur offenen Frage gab es enormes Feedback von rund 82% der Teilnehmer. Diese antworteten auf die Aussage ‚Bedürfnisse, die in einer realen Beziehung nicht erfüllt werden, können durch eine Beziehung im Internet ausgeglichen werden‘ von „stimmt“ über „stimmt bedingt“ bis „stimmt gar nicht“. Einige herausstechende Meinungen waren: „“man kann in einer Traumwelt leben und sich so verkaufen wie man sich selbst gerne sehen würde“ oder „Hätte es früher nicht geglaubt, aber die Online-Beziehung hat tatsächlich die Lücke in mir gefüllt, die die reale Beziehung hat“.

Ebenso wie in Studie 1 erwies sich der Chat unter den 125 Poppen.de-Mitglieder, die in einer Onlinebeziehung waren, als meistgenutztes Kommunikationsmittel (106 Nennungen). E-Mails schreiben stand an zweiter, der Austausch von Fotos an dritter Stelle. Vorwiegend wurden das SMS schreiben und Telefonieren von 89 Personen als zusätzliches Mittel angegeben. Auffällig war, dass bereits 104 Personen (83%) reale Treffen mit ihrem Onlinepartner hatten. Während 64% der Personen in einer Onlinebeziehung eine Dauer von unter einem Jahr angaben, dauerte keine der realen Partnerschaften weniger als ein Jahr an. Der Mittelwert in der realen Beziehung betrug 10,7 Jahre.

Knapp die Hälfte (46%) der Personen in einer Onlinebeziehung bezeichneten diese als ‚ Sexuelle Affäre‘, 13% wählten ‚Freundschaft‘, 9% ‚enge Freundschaft‘, 11% ‚lockerer Flirt‘ und nur 10% die ‚romantische Liebesbeziehung‘. Die restlichen 11% hatten als Eigenbezeichnung eine sehr unterschiedliche Wortwahl, wie „Begegnung mit thematischem Hintergrund“, „Mischung aus Liebesaffäre und extrem enger Freundschaft“ oder „große Liebe“.

31% der 341 Befragten auf Poppen.de gaben überwiegend „sexuelle Fantasien ausleben“ als das Bedürfnis an, welches in einer Onlinebeziehung besser befriedigt werden könne. Begleitet wurde diese Äußerung oft mit Worten wie „hemmungslos“, „unkompliziert“ und „abwechslungsreich“. Zu der Frage nach Bedürfnissen, die eine reale Partnerschaft besser befriedigen kann, äußerten sich 70% der Untersuchungsteilnehmer. Mit großem Abstand wurde „Nähe“ am häufigsten aufgezählt. Danach folgten „Vertrauen“, „Geborgenheit“, „Liebe“ und „emotionale Verbundenheit“.

Insgesamt gingen die Meinungen zu der Aussage, dass man Defizite in der realen Beziehung online ausgleichen kann, weit auseinander. Viele berichteten von einem „zusätzlichem Kick“ oder einer „Bereicherung“, die sie auch teilweise zusammen mit ihrem realen Partner erlebten. Aber auch von einer „Zwischenlösung“ und einer Onlinebeziehung die mit „viel Wunschdenken und Träumerei“ einhergeht. Einige beschrieben die Onlinebeziehung „als fehlendes Puzzleteil“ in der realen Partnerschaft oder als „Ausgleich“, wenn es mit der realen Partnerschaft gerade nicht gut läuft. Allgemein schien bei Befürwortern der Aussage die Onlinebeziehung weniger als Betrug angesehen zu werden als bei Personen mit ablehnender Haltung. Zu beachten ist jedoch, dass diese aufgeführten Aussagen rein subjektiv ausgewählt wurden und keiner inhaltsanalytischen Normauswertung entsprechen.

Generell ist davon auszugehen, dass trotz Aufführung der Begrifflichkeiten, viele Probanden eine andere Vorstellung von Onlinebeziehungen hatten und sich gar nicht in einer solchen, wie in dieser Arbeit vorausgesetzt, befanden. Bekräftigt wurde diese Annahme vor allem in Studie 2 (Poppen.de), in der rund 50% der in einer Onlinebeziehung befindlichen Personen angaben, dass es eine ‚sexuelle Affäre‘ sei. Damit ist die Gültigkeit des Tests in so fern einzuschränken, dass dieser die Bedürfnisbefriedigung in verschiedenen Beziehungskonstrukten misst.

Zudem nutzen Mitglieder von Poppen.de die Plattform gewöhnlich für sexuelle Kontakte, auch mit ihrem realen Partner gemeinsam. Die Absicht an die Onlinebeziehung der Nutzer von Internetforen ließ sich schwieriger ermitteln. Die Unterschiede in den Erwartungshaltungen können ein Argument für die teilweise sehr differenzierten Ergebnisse beider Studien sein. So ist die zusätzliche Onlinebeziehung der Poppen.de-Mitglieder vermutlich eher als Bereicherung zu sehen, wodurch die Ergebnisse in der Bedürfnisbefriedigung beider Beziehungen verzerrt wurden.

Grundsätzlich wurde die theoriegeleitete Annahme, dass im Internet ein Austausch von Gütern zwischen den interagierenden Partnern stattfinden kann, bewiesen. Damit können die Bedürfnisse nach Intimität, Leidenschaft und Verbindlichkeit in einer Onlinebeziehung durchaus befriedigt werden. Der Austausch bleibt, in so fern dieser ausschließlich über das Internet stattfindet, rein immaterieller Art und wird durch die Möglichkeiten der computervermittelten Kommunikation begrenzt.

Zusammenfassend konnte mit beiden Studien klar herausgestellt werden, dass Onlinebeziehungen in Form von Cyberaffären alltäglich sind und die Beziehungspartner vor neue Herausforderungen stellen. Die Grenzen der Definitionen von Treue und Betrug verwischen damit genauso wie die von Online- und Offlinebeziehungen. In diesem Sinne sollten die ungeschriebenen Regelwerke in den Beziehungen in Zukunft noch tiefgründiger untersucht werden. Nur so können die sich ständig verändernden Bedürfnisse in Paarbeziehungen, beeinflusst durch die stärker werdende Integration des Internets in unseren Alltag, auch in Zukunft beschrieben werden.

Die Studien wurden im Rahmen einer Bachelorarbeit mit dem Titel „Ist es mehr als Cyberuntreue? Ein Vergleich der Bedürfnisbefriedigung in realen Partnerschaften und Nebenbeziehungen im Internet“ im Jahr 2010 durchgeführt.

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