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Von Sinnen – Schmecken


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Geschrieben (bearbeitet)

Schmecken
Es war eng, es war staubig und aus den Lautsprechern tönte der ewig gleiche Dancehall Sound. So fuhr ich schon seit einigen Stunden mit dem Bus durch Belize in Richtung Süden. Auch wenn es heiß, schwül und unbequem war, genoss ich jede Sekunde dieser Tour. Seit Tagen habe ich kaum Touristen gesehen und mit kaum einem Menschen gesprochen. So konnte ich mich immer mehr in eine angenehm träge Reisetrance begeben. Ich schaute einfach aus meinem Fenster und sah zu, wie der Regenwald und die Plantagen an mir vorbeizogen. Dabei war ich mit ausreichend Bananenchips, Wasser und Zigaretten versorgt, so dass ich mir um mein Wohlergehen keine Sorgen machen musste. 

Auf der Reise die mich zwischen Guatemala, Belize und Honduras hin und her führte, habe ich gelernt, wie angenehm Einsamkeit sein kann. Wie schön es ist, sich als touristischer Eremit einmal auszuklinken und wie schön es ist, dann ab und an ein Gespräch zu führen. Gerade im Alleinsein bekommen schon kleinste Begegnungen eine ganz neue Intensität. So wie ein kleines Stück Schokolade nach einer langen Fastenzeit eine wahre Geschmacksexplosion ist. 

So saß ich alleine im Bus und war ganz bei mir selbst. Und es wurde noch besser: Irgendwo im Nichts musste der Bus eine Pause machen. Wir hielten an einem staubigen Platz, der von einigen Baracken umgeben war. Dazu gab es noch zwei Tanksäulen und einige Händler, die Waren von einem improvisierten Stand aus verkauften. Diese Pause kam gerade zur rechten Zeit. So hatte ich die Möglichkeit auf der Veranda einer Kaffeebude, Kaffee zu trinken, zu rauchen und die ganze Szene auf mich wirken zu lassen. 

Mit halb geschlossenen Augen träumte ich vor mich hin und beobachte das gemächliche Treiben der Händler und Busfahrer, die den Aufenthalt nutzten, um sich auszutauschen. Bis mich eine Stimme aus dem Schlummer weckte.

„May I have a cigarette please?”

Ich drehte mich um und sah eine junge Touristin. Sie sah asiatisch aus. Aber ihre Art Englisch zu sprechen, deutete ganz klar auf einen US-Amerikanischen Ursprung hin. 

„Sure“ 

Ich reichte ihr eine Zigarette und deutete auf einen freien Stuhl. Sie lächelte mich an, setzte ihren großen Rucksack ab und nahm Platz. In diesem Augenblick sah ich erst wie schön sie war. Ein schmales Gesicht, lange schwarze Haare, seidig glatte Haut und kleine feste Brüste, die sich unter ihrem verschwitzten T-Shirt abzeichneten. 

Ihr Aussehen und meine Aufmerksamkeit gesteigert. Aber die wahre Faszination für diese Frau kam beim Gespräch. Als sie das erste Mal anfing zu lachen, merkte ich, dass sie nicht einfach ein Mädchen war. Es war rauchig und etwas dreckig. Man hörte sofort raus, dass sie wahrscheinlich jeden versauten Witz mit einem noch versauteren Witz überbieten könnte. Auf der anderen Seite spürte ich, wie sich bei jedem Worte eine angenehme Nähe aufbaute. Und ich sah an ihrem Blick, dass sie ebenso spürte. Sie war wild, warm und wohlwollend. Und ich war vom ersten Augenblick an verliebt. 

Und so hat sich mein Zeitgefühl mit einem Schlag verändert. Fühlte ich bis dahin eine angenehme Langeweile, war jetzt auf einmal jede Sekunde kostbar. Mir war klar, dass wir zu wenig Zeit miteinander verbringen würden, um ganz spontan gemeinsam weiterzureisen. Zwischen und brannte im Moment nur eine kleine Flamme. Aber es war ein schönes Feuer, dass wir beide voll und ganz genießen wollten. Wir hatten einfach einen wunderbaren Moment. Aber schon bald würde ich weiter in den Süden reisen und sie in den Norden. Ich sah schon, wie mein Bus wieder reisefertig gemacht wurde. 

Und so verstrich Augenblick für Augenblick bis wir uns tatsächlich verabschieden mussten. Wir standen auf und blieben einige Zeit schweigsam und verlegen voreinander stehen. Doch dann wusste ich was zu tun war: Ich ging auf sie zu und umarmte sie. Eigentlich wollte ich ihr dazu noch einen leichten Kuss auf die Wage geben. Aber in diesem Moment drehte sie sich so zu mir hin, dass sich unsere Lippen berührten. Wir waren beide überrascht. Das spürte ich. Und wir beide merkten, dass es in diesem Augenblick richtig war. 

So drückte ich sie näher an mich heran und sie öffnete leicht ihren Mund, und berührte meine Zunge mit ihrer Zunge. Es war nur ganz kurz. Weit entfernt vom wilden Knutschen. Und dennoch konnte ich sie schmecken. Es war eine Explosion!

Auf der einen Seite schmeckte ich Kaffee und Rauch. Es war etwas bitter. Nein. Es war zartbitter. Denn ich schmeckte auch, wie süß ihre Zunge und ihre Lippen waren. Es war der Geschmack dieses einmaligen Flirts. Es war so, als ob man aus all diesen Blicken und Worten, aus all dem Lächeln eine Geschmacksrichtung gewonnen hätte, die sich dann auf ihrer Zunge abgelagert hätte. 

Wenn es mir je gelinge würde, diesen Geschmack herzustellen, würde ich reich werden. Aber das wird mir nie gelingen. Ich weiß genau, das, was ich in dieser einen Sekunde geschmeckt habe, ist so einmalig wie die eine Stunde zuvor.

Sehen
Sehen findet Ihr unter: www.poppen.de/topic/493075-von-sinnen-–-sehen/

Fühlen
Fühlen findet Ihr unter: www.poppen.de/topic/493013-von-sinnen/

Hören
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bearbeitet von Gelöschter Benutzer
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